Graham Potter kehrt nach Schweden zurück, um den schwindenden WM-Traum wiederzubeleben
Als Graham Potter wieder schwedischen Boden betrat, war es nicht einfach nur eine weitere Trainerverpflichtung — es fühlte sich wie eine offene Rechnung an. Der Engländer, der einst das kleine Östersunds FK in ein europäisches Fußballmärchen verwandelte, kehrt zurück in ein Land, in dem sein Ruf zum ersten Mal geformt wurde. Nun steht er vor einer ganz anderen Herausforderung: Die schwedische Nationalmannschaft aus einer Vertrauenskrise und verpassten Chancen zu retten.
Noch vor einem Jahr war unter Jon Dahl Tomasson neuer Optimismus aufgekommen. Die Mannschaft spielte offensiv, die Stürmer Alexander Isak und Viktor Gyökeres trafen nach Belieben, und die Fans wagten zu hoffen, dass die dunklen Jahre vorbei seien. Doch Ende 2024 war dieser Optimismus verflogen. Der schwedische Fußballverband (SvFF) entließ Tomasson mitten in der WM-Qualifikation — als erster Trainer in der Geschichte der Nationalmannschaft, der vor dem Ende einer Kampagne gehen musste.
Eine Mannschaft auf der Suche nach Orientierung
Das Scheitern Schwedens, sich für die Euro 2024 zu qualifizieren, hatte bereits tiefgreifende Überlegungen ausgelöst. Die lange Amtszeit von Janne Andersson endete, und der ehemalige Nationalspieler Kim Källström wurde als Sportdirektor eingesetzt, um einen neuen Weg zu ebnen.
„Wir müssen analysieren, wo wir stehen, warum wir dort sind und wohin wir wollen“, sagte Källström im Dezember 2023 gegenüber Aftonbladet. Seine Worte zeugten von einem Verband im Erneuerungsmodus — und seine Wahl des Nachfolgers spiegelte genau das wider.
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Tomasson, einst dänischer Nationalstürmer und Ex-Trainer von Malmö, kam vom englischen Zweitligisten Blackburn Rovers mit dem Ruf, modernen Tempofußball zu spielen. Anfangs waren die Resultate vielversprechend. In der Nations League ermöglichte das neue 3-4-1-2-System der Schweden mehr Freiraum für Isak und Gyökeres, die in vier Spielen gemeinsam zwölf Tore erzielten.
„Mein Ziel ist es, schlechte Ergebnisse durch einen neuen Stil und ein neues Team zu drehen“, sagte Tomasson dem dänischen Medium Bold.dk.
Doch der neue Optimismus kam nicht ohne Vorbehalte. Experten merkten an, dass die Siege gegen eher schwache Gegner wie die Slowakei, Estland und Aserbaidschan erzielt wurden — und stellten infrage, ob Schweden mit diesem offenen Spielstil auch gegen stärkere Nationen bestehen könne.
Als die Aufbruchsstimmung verpuffte
Diese Zweifel waren berechtigt. Im ersten Qualifikationsspiel für die WM 2026 führte Schweden zweimal in Slowenien, ehe ein später Patzer von Robin Olsen zum Ausgleich führte. Drei Tage später verschärfte eine blutleere 0:2-Niederlage im Kosovo die Krise.
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Expressen sprach von einem „Verrat“, Ex-Flügelspieler Freddie Ljungberg nannte die Vorstellung „grauenhaft“. Die Göteborgs-Posten schrieb: „Der Aufstieg ist nun unmöglich.“
Als die Schweiz im Oktober in Solna gastierte, war der Druck kaum noch auszuhalten. Schweden gab keinen einzigen Schuss aufs Tor ab und verlor 0:2. Aufgebrachte Fans entrollten ein Banner mit der Aufschrift: „JDT raus, dänisches Schwein.“ Verteidiger Emil Holm verurteilte diese Botschaft in Aftonbladet mit den Worten: „So etwas darf es nicht geben.“
Tomasson versuchte, gefasst zu bleiben, sprach von einer „Ohrfeige“ – doch er beharrte darauf, dass eine Wende noch möglich sei. Eine Woche später begrub eine weitere Niederlage gegen den Kosovo auch die letzten Hoffnungen. Ex-Verteidiger Jonas Olsson sagte bei Viaplay, das Team wirke „völlig gebrochen“. Wenige Tage später verkündete der Verband Tomassons Entlassung.
Potters zweiter Akt in Schweden
Die Verpflichtung von Graham Potter überraschte viele in England, wo seine kurzen Stationen bei Chelsea und West Ham frustrierend endeten. In Schweden jedoch hatte die Entscheidung Symbolkraft: Es war das Land, in dem er Östersunds aus der vierten Liga bis in den Europapokal führte — inklusive eines legendären Sieges gegen Arsenal im Emirates Stadium 2018.
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„Er hat mit dem Schweden-Job im Lotto gewonnen“, sagte Ex-Manchester-United-Stürmer Dwight Yorke zu Snabbare. „Es ging alles sehr schnell, aber manchmal braucht man einfach diese Chance.“
Auch Potters langjähriger Assistent Björn Hamberg kehrt zurück — ein weiteres Bindeglied zu seinen schwedischen Wurzeln. Olsson sagte gegenüber Sky Sports, es sei „eine leicht zu verkaufende Entscheidung“ gewesen, und ergänzte, die Fans „sehen ihn als einen der ihren“.
Den Glauben wiederfinden
Potters erste Pressekonferenz als schwedischer Nationaltrainer zeigte seine gewohnte Bescheidenheit. Auf Schwedisch sagte er: „Es ist eine große Ehre für mich. Ich kenne den schwedischen Fußball gut, und es ist wichtig, zumindest zu versuchen, die Sprache zu sprechen.“
Die Herausforderung ist groß. Schweden steht auf Platz vier in der UEFA-Gruppe B, und nur über die Playoffs besteht noch Hoffnung auf ein WM-Ticket. Gyökeres ist verletzt, Isak befindet sich noch im Formaufbau, und das Team leidet weiter unter mangelndem Selbstvertrauen.
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Die kommenden Partien gegen die Schweiz und Slowenien sind weniger Pflichtsiege als vielmehr eine Gelegenheit für Potter, Ideen zu testen – ehe im Frühjahr das entscheidende Playoff ansteht.
Für schwedische Fans ist Hoffnung zu einer zerbrechlichen Gewohnheit geworden. Doch Potters Erfolgsgeschichte in Östersund deutet darauf hin, dass er sich gerade in schwierigen Phasen und stillen Umbrüchen wohlfühlt. Wie Tomasson kurz vor seinem Abgang sagte: „Wir haben vergessen, wie man Tore schießt – und ich weiß nicht warum.“
Jetzt ist es an Potter, diese Antwort wiederzufinden – und vielleicht nicht nur den schwedischen Stolz wiederherzustellen, sondern auch seinen eigenen Ruf als einer der überlegtesten Trainer im modernen Fußball.
Quellen: BBC, Reuters, Sky Sports, Expressen, Aftonbladet, Bold.dk, Viaplay, Snabbare
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